Wildes Kambodscha:
Eine Mopedfahrt durch Chaos, Schönheit und dem Unerwarteten
🇰🇭 
Phnom Penh. Ein Chaos aus Mopeds und Tuk-Tuks. Die Hitze drĂŒckt. Drei FlĂŒge, zu viele Zwischenstopps. Endlich in Kambodscha. Die letzte große Fahrt, bevor sich alles Ă€ndert. Die Jagd nach MotorrĂ€dern, das Dröhnen der Motoren, der Staub vergessener Straßen. Ein Rennen ĂŒber Pol Pots verlassenen Flugplatz. Verirrt im Dschungel. Immer tiefer ins Unbekannte. Eine Reise auf zwei RĂ€dern – roh und echt. Das Abenteuer wartet. Die einzige Frage: Wie weit werden wir kommen?
in den Straßen von Phnom Penh
Drei anstrengende FlĂŒge – Wien, ZĂŒrich, Bangkok – und dann die letzte Etappe nach Phnom Penh. Ein Geheimnis lastet schwer auf mir: das Wissen, dass ich bald Vater werde. Mein letztes Abenteuer fĂŒr eine Weile? Die Fluggesellschaft hat mein Ticket vermasselt, aber das gehört dazu. Sobald man ins Unbekannte eintritt, gibt man die Kontrolle ab. Das Abenteuer ruft. Noch eine Stunde, dann bin ich frei.
Phnom Penh. Ich habe es geschafft. Mein GepĂ€ck kommt unversehrt an, meine SIM-Karte funktioniert, mein Visum ist gestempelt und ich ĂŒberstehe eine Tuk-Tuk-Fahrt in den Wahnsinn. Das Hostel liegt versteckt in einer engen Gasse, um mich herum pulsiert der chaotische Herzschlag SĂŒdostasiens. Mopeds schlĂ€ngeln sich selbstmörderisch durch den Verkehr, Hupen heulen zu einem wilden Konzert. Die Hitze klebt an mir, dick und unerbittlich – eine Vorahnung dessen, was noch kommen wird.
Ich entkomme dem selbstmörderischen Verkehr lange genug, um Eliot aus England und Evan aus Kalifornien zu treffen – gute Jungs. Wir essen auf dem Dach des Palace Garden Hotels, aber ich fĂŒhle mich fehl am Platz. Nachts durch Phnom Penh zu gehen, ist eine Nervenprobe. Keine Straßenlaternen. Keine Regeln. Nur ein Fluss aus Metall und Bewegung. Ein zehnspuriger Kreisverkehr ohne Zebrastreifen. ZurĂŒck im Hostel nippe ich an einem Gin Tonic und lausche dem rhythmischen Zwitschern der Geckos. Ein langsamer, genussvoller Start.
Die Jagd nach Mopeds
Ich schlafe wie ein Stein – ĂŒberraschenderweise – danke, Ohropax. FrĂŒhstĂŒck um 10:00 Uhr, und gegen Mittag machen sich Eliot, Evan und ich auf den Weg zum Königspalast. Der Palast ist nicht gerade beeindruckend, aber unser Guide ist nett. Wir trinken ein paar Bier und treffen einen kanadischen Trump-Fan. Zum GlĂŒck bekomme ich kaum etwas von seinem Gerede mit. Meine Gedanken schweifen zu meinem ungeborenen Kind – ein Anflug von Traurigkeit macht sich breit, doch sobald ich auf dem Moped sitze und die Stadt verlasse, wird sich alles zusammenfĂŒgen.
Wir sind im Ă€rmeren Teil der Stadt angekommen. Fahl beleuchtete Massagesalons, Bars mit spĂ€rlich bekleideten kambodschanischen Frauen und dicken alten europĂ€ischen MĂ€nnern. Aber dazwischen gibt es auch anstĂ€ndige Lokale. Am Treffpunkt lerne ich John und Paul aus England sowie Rolf aus Deutschland kennen. Ed von C90 Adventures kommt an, und die Crew ist komplett. Wir machen uns auf die Suche nach Mopeds. Eine Probefahrt ĂŒber den belebten Markt. Die Bremsen sind schrecklich, aber hey – Trommelbremsen vorne. Was kann man da erwarten? Wir essen zusammen an StraßenstĂ€nden auf dem chaotischen Markt, trinken ein paar Bier und beobachten das Straßenleben.
An unserem letzten Tag in Phnom Penh gehen wir zum russischen Markt – vollgepackt mit kitschigen Souvenirs, aber es gibt eine nette Ecke mit exotischen Motorradteilen. Ich gönne mir zwei sĂŒĂŸe Ananas fĂŒr einen Dollar und eine Kokosnuss fĂŒr 0,50 Dollar.
Die Jagd nach Mopeds geht weiter. Die meisten sind Schrott – abgefahrene Reifen, Öllecks, Bremsen, die kaum funktionieren. Wir verhandeln, basteln. Wir testen, kaufen Teile auf dem Markt und reparieren, was wir können. Die bevorzugten Werkzeuge hier sind ein Schraubenzieher und ein Hammer. Ich will es nicht verschreien, aber meine kleine Honda sieht ganz anstĂ€ndig aus. Nichts ist perfekt, aber hier geht es nicht um Perfektion. Einem Freund wird wĂ€hrend einer Massage sein ganzes Geld gestohlen. Diese Lektion haben wir gelernt. Ich packe meine Satteltaschen, nur das Nötigste. Morgen fahren wir los.
Pol Pot’s unbenutztes Flugfeld
Um 8:30 Uhr rollt unser Trupp los, Hitze und Dunst verschlucken Phnom Penh hinter uns. Die MotorrĂ€der laufen gut, die Satteltaschen sitzen fest, und wir halten kurz am Straßenrand. Die Luft ist dick vor Staub, die Sonne brennt unerbittlich. Wir fahren weiter in Richtung Pol Pots verlassener Landebahn – nie benutzt, einfach nur da. Wir rasen wie Kinder ĂŒber den Asphalt, der Wind blĂ€st uns scharf ins Gesicht. Hungrig versuchen wir, etwas zu essen zu finden. Es gibt kaum etwas, das wie Nahrung aussieht. fĂŒrs erste rettet mich eine Packung Mannerschnitten.
Wir verpassen die FĂ€hre ĂŒber den Tonle Sap und laden in einem Moment des Wahnsinns die MotorrĂ€der auf Schnellboote. Ich traue dem nicht ganz, aber die Crew ist souverĂ€n – sie haben es schon einmal gemacht. Der erste platte Reifen – ein RĂŒckschlag, aber keine Katastrophe. Der Mechaniker ist schnell, als hĂ€tte er nie etwas anderes getan. Wir tanken aus Flaschen, die Hitze nagt, der Hunger grĂ€bt tiefer.
Wir fahren, bis in der weiten Leere ein ruhiger Zufluchtsort auftaucht. Niemand spricht ein Wort Englisch. Wir sprechen kein Khmer. Kommunikation nur mit einem LĂ€cheln. Wir bestellen sieben Lok Laks mit Rindfleisch und Reis. Salz und GewĂŒrze – genug, um alles wieder ins Waagrechte zu rĂŒcken.
Die Reise geht weiter – lange, schnurgerade Strecken auf staubigen, unbefestigten Straßen, Immer wieder unerwartete Hindernisse: Schlaglöcher, herumlaufende HĂŒhner, rĂŒcksichtslose Lkw-Fahrer. Eine kurze Unaufmerksamkeit, ein gefiedertes Opfer, und ich fahre weiter.
Die Nacht bricht herein, und wir kommen in Kampong Thom an. Ein Hotel zu finden ist schwierig. Meine AusrĂŒstung ist staubig, meine Haut riecht nach Erde. Wir finden ein einfaches Hotel, aber es hat Betten, eine Dusche – genau das, was wir brauchen. Wir essen koreanisches Barbecue, der Rauch liegt schwer in der Luft. Die Nachricht von der Untersuchung meines Babys kommt durch. Der Ultraschall sieht gut aus. Erleichterung. GlĂŒck. Diese Welt wird eines Tages auch ihm gehören.
Pol Pot‘s Airfield
Pol Pot‘s Airfield
Bottle Gas
Bottle Gas
Start in Phnom Penh
Start in Phnom Penh
Gas Station
Gas Station
Die Tempel von Angkor Wat
Der Morgen kommt schnell. Wieder Abfahrt um 8 Uhr. Das Moped stottert, aber es fĂ€hrt weiter. Öl leckt an Stellen, wo es nicht hingehört, ein ovales Vorderrad und der Benzintank fasst kaum genug, um mich bis zur nĂ€chsten Tankstelle zu bringen. Aber ich liebe es.
Wir fahren durch Dörfer und werden langsamer, wĂ€hrend Kinder an den Straßenrand laufen, um zu winken. Ein Mann lĂ€dt mich in seinen Garten ein, bietet Tee an und spricht tadelloses Englisch. Diese Leute haben etwas an sich – sie geben einem das GefĂŒhl, dazuzugehören.
Wir erreichen Siem Reap, das Tor zu den alten Tempeln von Angkor Wat. Das Hotel ist in Ordnung, mit einem Pool zum AbkĂŒhlen. Ich bin zum dritten Mal hier. Siem Reap hat sich verĂ€ndert – mehr Beton, weniger Charme – aber der Puls der Stadt ist immer noch spĂŒrbar. Die alte Magie lebt, wie ein leises Summen im LĂ€rm.
Am nĂ€chsten Morgen stehen wir viel zu frĂŒh auf und jagen den Sonnenaufgang in Angkor Wat. Der große Tempel hat etwas von seinem Glanz verloren, vor allem durch die PlastikpontonbrĂŒcke. Aber die verborgenen Tempel? Sie flĂŒstern immer noch ihre Geheimnisse. Die Hitze ist erdrĂŒckend, aber das macht mir nichts aus.
Am Nachmittag mache ich mich mĂŒde, aber zufrieden auf den Weg zurĂŒck in die Stadt. Das Gerede ĂŒber Motoren und sogenannte „Happy Ends“ nervt mich. Alle sind höflich, aber den GesprĂ€chen fehlt der Tiefgang.
Ich kann damit nichts anfangen. Hier bin ich der Außenseiter, umgeben von Instagram-Reisenden in ihren 'Ich war in Thailand'-Hosen, die ihre ewig gleichen recycelten Tattoos tragen. Es fĂŒhlt sich an, als wĂ€re ich in einer Parallelwelt. Ich passe nicht zu ihnen. Ich bin nicht hier, um BestĂ€tigung oder Anerkennung zu bekommen. Ich bin aus einem anderen Grund hier, etwas, das sich nicht in einem Post festhalten lĂ€sst.
Verirrt im Dschungel am Kulen Mountain
Siebzig Kilometer hinein in den Dschungel. Die Strecke zum Kulen-Mountain ist ein Abenteuer in sich – kurvenreiche Straßen, die sich durch Reisfelder winden, Palmen und BĂ€ume flitzen an uns vorbei, ein Lastwagen voller winkender Schulkinder. Die Hitze macht sich frĂŒh bemerkbar. Wir haben unsere Satteltaschen im Hotel zurĂŒckgelassen, und unsere Hondas können heute ihre 10 PS bis zum Äußersten ausreizen. Wir zahlen unsere Maut im Phnom-Kulen-Nationalpark und brausen dann die staubigen Straßen hinauf, genießen die Aussicht. Der Weg wird schmaler und kurvenreicher, unsere Mopeds kĂ€mpfen sich den Berg hinauf, klappern auf Schotterstraßen zwischen riesigen Felsen, die aussehen, als wĂ€ren sie von einem mythischen Riesen nur fĂŒr uns dort platziert worden. Schlaglöcher schĂŒtteln uns bis ins Mark, aber wir fahren weiter. Endlich erreichen wir die WasserfĂ€lle, parken die Mopeds und kĂŒhlen uns ab. An diesem Punkt denken wir, das Abenteuer fĂŒr diesen Tag sei vorbei. Ich ĂŒberlege kurz, mir eine Penisschleuder aus Holz zu kaufen.
Doch die Höhlen und Tempel höher in den Bergen rufen uns. Von da an Ă€ndert sich alles. Der Weg verschwindet im Sand und ungezĂ€hmten GelĂ€nde. Der Dschungel verschluckt unsere MotorrĂ€der und die Wildnis rĂŒckt nĂ€her. Es ist anstrengend, aber es fĂŒhlt sich richtig an. Zeit und Entfernung verschwimmen. Irgendwo auf dem Weg kommen wir vom Kurs ab, verlieren uns in der Unermesslichkeit des Ganzen. Die Sonne brennt gnadenlos herunter.
Wir rasen durch den Dschungel, doch irgendwie scheint eine vierköpfige Familie auf einer kleinen Honda schneller zu sein als wir. Unsere Muskeln schmerzen, unser Wasser ist lĂ€ngst leergetrunken. Die Wege, auf denen wir uns befinden, sind auf keiner Karte verzeichnet. Eine Honda nach der anderen verliert Teile – Schraube fĂŒr Schraube. Die Tankanzeige nĂ€hert sich dem Leerstand. Da war doch was mit Minen, ich erinnere mich – bleib auf dem Weg. Die Warnung klingt in meinem Kopf wie ein ferner Traum, fast vergessen. Aber jetzt ist sie so real wie der Boden unter meinen FĂŒĂŸen. Wir haben keine andere Wahl, als weiterzumachen. Stunden vergehen. Die Mopeds klappern. Irgendwie finden wir den Weg zurĂŒck. Die Erleichterung ist bitter – ein GefĂŒhl zwischen Triumph und brennenden Muskeln. Tempel und Höhlen? Die haben wir nicht gefunden, dafĂŒr etwas Besseres.
Wir erreichen unser Hotel, verschwitzt, erschöpft. Duschen. Essen. Der Plan fĂŒr morgen ist noch ungewiss. In acht Stunden sind wir wieder unterwegs.
Ins Herz der Finsternis – der Tonle Sap
Wir fahren zum Tonle Sap, gespannt auf die nĂ€chste Etappe der Reise. Das ganze Boot gehört uns, und wir schleppen unsere Mopeds eine steile, schmale Rampe hinunter – eine unbeholfene, klappernde Prozession. Das Beladen fĂŒhlt sich wie ein eigenes Ereignis an. Dieser undichte, quietschende Rumpf war nie dafĂŒr gedacht, Mopeds zu transportieren. Drei von uns halten das Boot fest, wĂ€hrend die anderen die Mopeds ins Innere hieven. Ohne große Verzögerung machen wir uns auf den Weg und fahren den Tonle Sap hinauf, so weit es der niedrige Wasserstand zulĂ€sst. Wir haben kein wirkliches Ziel vor Augen. Ich denke an Herz der Finsternis von Joseph Conrad. Schließlich verschwindet die Uferlinie, und der Tonle Sap fĂŒhlt sich an wie ein schlammiges, braunes Meer.
Irgendwann bricht im Inneren des Bootes Feuer aus, gefÀhrlich nahe an zwei riesigen Dieselkanistern. Der Geruch von Treibstoff ist stark, aber der KapitÀn bleibt ruhig und löscht die Flammen souverÀn. Wir fahren weiter.
Wir erreichen die MĂŒndung des Sanker Rivers, der sich kilometerweit durch die Landschaft windet, mal links, mal rechts. Das Boot tuckert dahin, vorbei an Fischerstationen und schwimmenden Dörfern, wo uns Kinder aus ihren Kanus zuwinken. Stundenlang folgen wir dem Lauf des Flusses, gelegentlich schrammen wir ĂŒber den seichten Grund. Viel weiter kommen wir nicht.
Irgendwann ist der Wasserstand zu niedrig, wir stecken fest. Wir halten an einem der seltsamsten Orte, die ich je gesehen habe. Die Luft vibriert von lauter Technomusik, und kleine, laute Boote ohne Auspuff tuckern vorbei. Das Flussufer ist steil und schlammig, und wir haben keine Ahnung, wie wir hier ausladen sollen. Aber die Kambodschaner sind einfallsreich. Mit Brettern, Seilen und ein paar starken HĂ€nden schaffen wir es, alles vom Boot zu holen. Ich bin nicht allzu zuversichtlich, aber irgendwie klappt es.
Wir heizen weiter durch Dörfer, Felder und Wege, bis wir einen kleinen Laden unter einem riesigen, schattigen Baum finden. Wir machen eine Pause, nippen an kambodschanischem Red Bull und lauschen dem Blubbern eines Mopeds, das ohne Auspuff vorbeirast. Gibt es in diesem Land so etwas wie einen Auspuff?
Kurz vor Sonnenuntergang rollen wir in Battambang ein. Unsere MotorrĂ€der sind mitgenommen, wir auch. Wir halten inne, um die berĂŒhmte Fledermaushöhle zu bewundern, und beobachten, wie Millionen von FledermĂ€usen aufsteigen und der untergehenden Sonne entgegenfliegen. Der Himmel ist voller Bewegung, ein perfekter Abschluss eines seltsamen, langen Tages. Wir finden ein Hotel, essen und fallen ins Bett, dankbar fĂŒr die heutigen Abenteuer.
Pursat & das Massage-Ladies Menu
Wir reparieren unsere ramponierten Mopeds und finden einen Mechaniker, der das Wichtigste bereithĂ€lt – nĂ€mlich einen großen Hammer. Er drischt auf mein Moped ein, und bald ist die verbogene Fußraste wieder gerade. Es wirkt, als wĂŒrden sie so etwas nicht zum ersten Mal machen. Es braucht nicht viel – nur das richtige Werkzeug und einen guten Schwung.
Gegen Mittag ist die Hitze unertrĂ€glich. Wir machen uns auf den Weg zum Bamboo Train. Einst eine skurrile, lustige Fahrt, jetzt eine verblassende Touristenfalle. Wir genießen es kurz, aber die Magie ist verflogen, und wir bleiben nicht lange.
Unser nĂ€chstes Ziel ist Koh Kong, aber es ist zu weit, um es heute noch zu schaffen. Einige berĂŒchtigte Berge liegen zwischen uns. Also suchen wir nach einem Ort, an dem wir ĂŒbernachten können, denn nicht jedes StĂ€dtchen in Kambodscha kann mit Hotels dienen. Pursat – weniger eine Destination, mehr ein Wegpunkt. Die Straßen dorthin sind grĂ¶ĂŸtenteils aus löchrigem Asphalt und glĂŒhen in der Sonne. Die Hitze ist unerbittlich. Mein Motorrad, das viermal so viel Benzin verbraucht wie alle anderen, frustriert mich mit jedem Kilometer mehr. Wir halten nur an, um zu tanken und etwas zu trinken; die Luft ist voller Staub.
Das Hotel ist eine heruntergekommene Bruchbude, mit kaum mehr als dem Nötigsten. Im Zimmer liegt ein Flyer mit dem Angebot „Massage-Girls“. Wir ignorieren es.
Das Abendessen ist eine EnttĂ€uschung. Wir warten viel zu lange auf etwas, das sich als geschmackloses, mit MSG vollgestopftes Fraß herausstellt. Hier anstĂ€ndiges Essen zu finden ist wie eine Oase zu finden – selten und einmalig.
Roter Staub in unsren Gesichtern – Die KardamomBerge
KopfschĂŒtteln in Pursat. Wir fragen nach den Kardamombergen. Manche sagen: „Unmöglich.“ Andere nicken zuversichtlich. Wir wissen nicht, wem wir glauben sollen, aber wir sind bis hierher gekommen. Die Berge rufen. Wir lassen Pursat hinter uns. Vor uns nur Staub und ein brutaler Anstieg.
Der erste Teil der Strecke ist langweilig, ein langsamer Auftakt. Dann eine Pause. Eine HĂŒtte mitten in einer Bananenplantage. Ein Dach, ein paar WĂ€nde und so etwas wie eine KĂŒche. Wir wissen nicht, was wir bestellen, aber wir essen es trotzdem. Die Zeit lĂ€uft uns davon.
Die Berge erheben sich vor uns wie eine Wand. 270 Kilometer ausgewaschener Pisten, tiefe Furchen, Staub, Hitze. Jeder Kilometer ein Kampf. Der Dschungel drĂ€ngt nĂ€her. Insekten summen. Schweiß klebt an unseren RĂŒcken. Die Mopeds Ă€chzen unter dem Gewicht, klappern, stottern, runter in den ersten Gang. Wir drĂ€ngen vorwĂ€rts.
Der Weg ist gnadenlos. Loser Staub, tiefe Löcher, brutale Steigungen. In einem Moment kĂ€mpfen wir uns nach oben. Im nĂ€chsten rutschen wir wieder abwĂ€rts, weichen Felsbrocken aus, schlittern durch den Sand. Der Dschungel verschluckt uns. Überall roter Staub. Dann ein Loch. Zu tief. Mein Federung schlĂ€gt durch. Der Aufprall schĂŒttelt mir die Knochen durch.
Auf der anderen Seite ein Moment der Erleichterung. Wir halten an einer alten Mine. Ein Wasserfall, versteckt in der Landschaft. Einheimische PĂ€rchen verweilen hier, stehlen Zeit fĂŒreinander. Sieben staubige Fremde kommen an, schweißgebadet, erschöpft. Sie lĂ€cheln uns an. Vielleicht aus Mitleid, vielleicht aus Neugier. Wir lĂ€cheln zurĂŒck. Dann fahren wir weiter.
Die Dunkelheit kommt zu schnell. Hier sind die Wege betoniert, das macht es leichter. Aber mein Tank ist leer. Ich sehe zu, wie die Nadel fĂ€llt, und weiß, dass ich es nicht schaffen werde. Ich fahre nur noch auf den letzten Tropfen. Dann nichts. Das Vorderrad rutscht unter mir weg. In einer Kurve schĂ€tze ich die Straße falsch ein. Ich stĂŒrze. Hart. Mein Kopf knallt auf den Boden. Der Helm rettet mich. Ich bin erschĂŒttert, habe Schmerzen, aber ich bin noch da. Der Tank meines Mopeds ist endgĂŒltig leer.
Ed schiebt mich. Kilometerlange Anstrengung, mein kaputtes Motorrad an seins gebunden. Gerade als wir aufgeben wollen, taucht eine Flasche mit Benzin aus den Schatten auf. Ein Fremder. Ein stiller Austausch. Ein Wunder. Wir machen weiter. Koh Kong wartet.
Mitten in der Nacht. Erschöpft. Ausgelaugt. Aber hier sind wir.
Das Abendessen bei Fat Sam’s ist eine willkommene Erleichterung – ausgerechnet Schnitzelburger. Das Essen schmeckt nach Sieg, aber wir sind zu mĂŒde, um es zu genießen. Wir sitzen schweigend da. Die Last des Tages drĂŒckt auf uns. Bald ruft die Straße wieder. Aber heute Abend ruhen wir uns aus.
Am nĂ€chsten Tag haben wir endlich die Chance, durchzuatmen. Ein richtiges FrĂŒhstĂŒck im Wood House. Ein erstes GefĂŒhl von NormalitĂ€t seit Tagen. Mein Moped muss dringend gewaschen werden, der Staub und Schmutz der Kardamomberge klebt an jeder OberflĂ€che. Wir suchen nach einem Mechaniker, haben aber kein GlĂŒck. Es ist chinesisches Neujahr, und fast alles ist geschlossen.
Wir geben nicht auf. Gegen Mittag fĂŒhrt uns ein Tipp eines Einheimischen zu einem kleinen Laden. Ein junger Mechaniker macht sich an die Arbeit. Schweißen, hĂ€mmern, richten, festziehen. Schnell, prĂ€zise. Er will kein Geld fĂŒr seine Arbeit. Nur fĂŒr Ersatzteile. Und selbst die sind billig.
Die Mopeds sind wieder bereit. Die Straße liegt vor uns. Die Reise ist nicht zu Ende. Noch nicht.
Insel, Zuflucht & Chinesisches Neujahr
Wir packen zusammen, werfen die Satteltaschen auf unsere Mopeds und rollen los in Richtung Sihanoukville. Die Straße ist gut, frischer Asphalt schneidet durch tiefgrĂŒne WĂ€lder. Ein plötzlicher Regenguss. Sollten wir anhalten, Regensachen anziehen? Wahrscheinlich nicht. Wir fahren durch endlose, unheimliche Palmölplantagen – Reihen ĂŒber Reihen verstĂŒmmelter BĂ€ume, deren abgeholzte StĂŒmpfe auf schmutzigen Lastwagen hoch aufgestapelt sind. Eine schwarze Dieselwolke folgt ihnen und erstickt die Luft, wĂ€hrend sie vorbeifahren. Hinterlassen wird eine dĂŒstere Spur in der Landschaft. Je nĂ€her wir der Stadt kommen, desto schlimmer wird der Verkehr. Lastwagen rasen auf uns zu und ĂŒberholen ohne RĂŒcksicht. Wir schlĂ€ngeln uns mit Vollgas hindurch und fressen die Kilometer.
Sihanoukville ist genau das, wovor wir gewarnt wurden – eine WĂŒste aus halbfertigen GebĂ€uden, Staub, offenen Gruben und stinkenden Straßen. Chinesische Casinos, aufgereiht wie Soldaten, blinkende Neonlichter auf bröckelnden Gehwegen. Wir bleiben nicht lange. Neuer Plan – die FĂ€hre nach Koh Rong nehmen.
Wir parken die Mopeds, schnappen uns unsere Satteltaschen und drĂ€ngen uns durch das Chaos eines Piers. Es ist chinesisches Neujahr, eine Menschenmenge, halb aus Einheimischen, halb aus Touristen, kĂ€mpft um jeden Platz auf den Booten. Der LĂ€rm ist unertrĂ€glich. Geschrei, GepĂ€ck, Wellen, die gegen den Pier schlagen. Ich bin ĂŒberrascht, dass niemand ins Wasser fĂ€llt.
Als wir endlich an Bord gehen, bringt uns die FĂ€hre zum falschen Strand. NatĂŒrlich. Wir haben bereits eine Unterkunft gebucht, aber sie zu erreichen wird zu einer ganz neuen Tortur. Als wir endlich auf unseren Sandstrand stolpern, stellen wir fest, dass unsere Zimmer lĂ€ngst vergeben sind. Ausgebucht. Kein Platz. Ich stelle mich auf eine Nacht unter den Sternen ein, will mich betrinken, erwarte das Schlimmste.
Irgendwie schaffen wir es, vier Betten fĂŒr sieben verschwitzte, staubige MĂ€nner zu ergattern. Wir ziehen Strohhalme. Ich habe GlĂŒck – mein eigenes Bett fĂŒr die Nacht.
Kein Strom, kein fließendes Wasser. Die Dinge, die man als selbstverstĂ€ndlich erachtet, fehlen hier. Am nĂ€chsten Tag tun wir nichts. Strand, kaltes Bier, Gin Tonics. Eis, das direkt von einem massiven Block am Strand gehackt wird. Ich rechne mit einer Lebensmittelvergiftung, aber ich habe wieder GlĂŒck.
Wir essen Pizza. Die Einheimischen bieten eine „Happy“-Version an. Meine britischen Freunde sind begeistert. Ich kenne gute italienische Pizza. Die hier fĂ€llt nicht in diese Kategorie. Der Grappa macht es ertrĂ€glich.
Abends wasche ich mir endlich den Schweiß und Staub mit einem Eimer Wasser ab. Der Sonnenbrand macht sich bemerkbar – ein stetiges Stechen auf meiner Haut. Ich treibe im Meer, beobachte Hipster-Reisende, die Plastik aus den Wellen fischen, wohl wissend, dass die Einheimischen es auf der anderen Seite der Insel wieder ins Meer werfen werden.
Kampot – Wo der Pfeffer WĂ€chst
Wir haben genug vom Inselleben. Um 8:30 Uhr wollen wir mit einem Taxiboot zurĂŒck aufs Festland fahren. Auf halbem Weg versagt der Motor. Wir sind gestrandet, mitten im Meer. Ein anderes Boot legt an, um uns zu retten, aber es ist bereits bis zum Rand ĂŒberfĂŒllt. Wir sind nicht gerade willkommen. Wir klettern von Boot zu Boot, halten unsere AusrĂŒstung fest und hoffen, dass nichts ins Wasser fĂ€llt. Wenigstens zĂŒngeln diesmal keine Flammen aus dem Boot.
Wir schaffen es zurĂŒck nach Sihanoukville und unsere Mopeds sind immer noch da, warten auf uns. Wir sind hungrig und gönnen uns ein reichhaltiges FrĂŒhstĂŒck. Die Stadt begrĂŒĂŸt uns mit ihrer HĂ€sslichkeit – einer der abstoßendsten Orte, die ich je gesehen habe. Wir fahren weiter nach Kampot, der Stadt, in der der Pfeffer wĂ€chst. Der Verkehr ist ein Selbstmordkommando, aber wir fahren weiter. Der Rest der Fahrt verlĂ€uft reibungslos, abgesehen von plötzlich auftauchenden Schlaglöchern. Kurz vor Kampot machen wir einen Abstecher in den Bokor-Nationalpark – eine dringend benötigte Oase. Frisch asphaltierte Straßen, atemberaubende Aussichten – und plötzlich fĂŒhlt sich die Fahrt wieder real an. Wenn hier oben der Nebel aufzieht, ist alles in eine dunstige Suppe getaucht und die Überreste vergangener Tage nehmen eine gespenstische, unheimliche AtmosphĂ€re an. Oben stolpern wir ĂŒber eine Geisterstadt – eine ganze Stadt, die erbaut und verlassen wurde. Inmitten der Ruinen finden wir ein chinesisches Restaurant. Ich bin vorsichtig und bleibe bei GemĂŒse. Es stellt sich als weise Entscheidung heraus – alle anderen kĂ€mpfen mit Durchfall. Alle sechs.
Auf den Bergstraßen kann ich nicht anders, als Mitleid mit den Touristen zu haben, die sich zum ersten Mal an Mopeds versuchen. Ich sehe ihre gequĂ€lten, Ă€ngstlichen Gesichter, aber wir rasen vorbei und genießen die Freiheit der Straße. Am spĂ€ten Nachmittag erreichen wir Kampot, wieder staubig und mĂŒde. Es ist eine weitere Touristenfalle, voll mit Menschen in zu leichter Kleidung, die mit ihren Mopeds durch das Chaos holpern. Ich habe Mitleid mit ihnen und hoffe, dass sie nicht stĂŒrzen.
Abendessen in einem riesigen Restaurant. Überall wird von „Happy Pizza“ gesprochen. Einer von uns kann nicht widerstehen. Ich verstehe es nicht. Kampot fĂŒhlt sich wie eine Geisterstadt an. Nichts außer dem seltsamen Schnattern der Touristen und der erstickenden Hitze.
Epiloge – Phnom Penh
Phnom Penh. Ich sitze auf der Dachterrasse meines schicken Hotels, das ich mir fĂŒr die letzten Tage gegönnt habe. Mit einem Gin Tonic in der Hand unterhalte ich mich mit einem Reisenden aus Österreich. Nach der langen Fahrt, nach allem, habe ich das GefĂŒhl, dass ich mir diesen ruhigen Moment verdient habe. Heute war die letzte Fahrt mit den Jungs. Wir haben Kampot um 10:30 Uhr verlassen, haben uns durch das Chaos gekĂ€mpft und schaffen es direkt nach Phnom Penh. Die Straßen waren brutal, der Verkehr höllisch. Ich freue mich auf echte Verkehrsregeln, Versicherung und Sicherheitschecks – alles außer dem Wahnsinn, den wir durchgemacht haben. Straßen, die dich verschlucken, Schlaglöcher, die deinem Moped den Garaus machen wollen. Lastwagen, die Steine abwerfen, die wie Raketen auf dich zukommen. Staub, der so dicht ist, dass er dich von der Straße abdrĂ€ngt.
Aber trotz all dem hielten wir zusammen. Wir teilten den Staub und den Sand, den Schweiß und den Schmutz. Das Abenteuer war hart und jede Meile trug den Geruch von Benzin und Erde. Unsere MotorrĂ€der heulten durch das Chaos, und selbst als es schien, als wĂŒrden uns die Straßen zerbrechen, fuhren wir weiter. Gemeinsam.
Ich bringe mein Moped zurĂŒck, ein Abschied, streife die nĂ€chsten zwei Tage durch Phnom Penh. Nach all dem Fahren, dem Dreck, der Hitze fĂŒhlt sich die Stadt seltsam an. Wie das Ende von etwas – obwohl ich weiß, dass die Straße nie wirklich endet. In ein paar Tagen fliege ich zurĂŒck nach Wien, wo mich die WinterkĂ€lte wie eine Ohrfeige treffen wird. Aber meine Gedanken wandern schon jetzt in die Berge Nepals, zu einem neuen Abenteuer, einem neuen Horizont.
Dann die Rede von einem seltsamen Virus in China. Es scheint weit weg. Aber in den folgenden Wochen schließen die Grenzen. FlĂŒge werden abgesagt. Und plötzlich steht die Welt still. Wir sitzen alle zu Hause fest, und mir bleiben nichts als Erinnerungen an die staubigen Straßen Kambodschas.
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